2015-07-29

Centuria I, Experimentum 29: Orte und Jahre: München 2013



 Ausschnitte aus hck: "Philosophie der Renaissance": Teil 1

Mein Einführungsband zur Geschichte der Philosophie der Renaissance (cf. http://www.phil-hum-ren.uni-muenchen.de/W4RF/YaBB.pl?num=1406550834 ) ist nun seit etwas mehr als einem Jahr auf dem Markt. Für diejenigen die sich dafür interessieren, den Band aber noch nicht kennen, habe ich vor ab jetzt in den folgenden Tagen/Wochen jeweils Auschnitte (normalerweise: Anfang und Schluss) der einzenen Kapitel hier zu posten (nicht in der gedruckten Version, sondern in einer Textversion die relativ nahe an der "elektronischen Langversion des Autors" ist.   

Ja, ich bin mir darüber im Klaren, dass einiges was das steht und stehen wird bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung etwas veraltet war, und dass manches inzwischen noch veralteter ist. Aber für eine Aktualisierung ist die Zeit noch nicht gekommen; ich vermute dass es bis zur Vorbereitung einer Neuauflage noch etwas dauern wird. Und zwischendurch beschäftige ich mich miit dem Projekt "Tiergeschichten".

Anyway: los gehts:

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Gewidmet (mit herzlichem Dank) den sehr zahlreichen Studierenden der Jahre 2007 bis 2013 ohne deren Fragen, Einwände, Beiträge das was folgt sehr viel schlechter wäre als es ist.



- Vorwort - München 2013

           
Der vorliegende Band unterscheidet sich in vielem von den anderen Epochen der Philosophiehistorie gewidmeten Bänden der Reihe Grundkurs Philosophie.[1] Auf den ersten Blick bereits in der Länge des Vorworts. Dies nicht ohne Gründe in der Sache - wie es auch nicht ohne sachliche Gründe ist, dass dieser Band erst zu einem Zeitpunkt erstmals erscheint, zu dem die anderen entsprechenden Bände bereits in 2. bis 4. Auflage vorliegen. Denn der Versuch für diese Reihe - oder auch sonst - eine Einführung in die Philosophie der Renaissance zu schreiben, sieht sich spezifischen Problemen gegenüber.

            Eines der Hauptprobleme jeglichen Überblicks über die Philosophie und Geistesgeschichte der Renaissance - die Frage nach dem zeitlichen Anfang und Ende - stellt sich aufgrund des Inhalts der beiden "flankierenden" Bände durchaus nicht in voller Schärfe (Cusanus und Franciscus Suarez sind im Band Mittelalter behandelt, Descartes und Francis Bacon im Band Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts).[2]
            Auch potentieller inhaltlicher Dissens in bezug auf einige Detail-Aussagen in den bereits vorliegenden Bänden ist durchaus keine Hürde - denn wo kein Dissens mehr ist, da wird Wissenschaft langweilig.
           
Und auch dass sich "Philosophisches" an und in Texten der Renaissance nicht in scharfer Trennung von anderen Wissenschaften behandeln lässt, ist hinreichend unproblematisch: trifft dieses doch auch (zumindest in Beziehung zur Theologie) auf vieles an und in den Texten des Mittelalters und des 17./18. Jahrhunderts zu.
           
Und: So sinnvoll und wichtig eine Grundsatzdiskussion dazu, was Philosophiehistorie leisten könne und solle, auch sein mag: Es lässt sich hier darauf verzichten. Die anderen Bände liegen vor, und hier nun auch der der Renaissance gewidmete, und Philosophiehistorie leistet jeweils das, was sie leistet … .

            Doch es gibt darüber hinaus Probleme, die spezifisch sind für die Geistesgeschichte und Philosophie der Renaissance, Probleme, denen sich diejenigen, die sich mit der Philosophie anderer Epochen befassen, nicht, oder zumindest nur in deutlich geringerem Grade, gegenübersehen:
            Nicht ohne Grund fehlen innerhalb Deutschlands (abgesehen von München und - in deutlich geringerem Umfang - Münster) universitäre Schwerpunkte auf der Philosophie der Renaissance, und nicht ohne Grund sind derlei Schwerpunkte auch außerhalb Deutschlands selten: Es gibt Kontinuitäten zur Philosophie der Antike (vom "neoaristotelianism" bis zu stoischer philosophischer Lebensberatung), es gibt im 19. mit 21. Jahrhundert Wiederaufnahmen bzw. Rückbezüge auf Philosophien des Mittelalters (vom Neuthomismus bis zur Occam-Rezeption der letzten Jahrzehnte), die Präsenz zahlreicher philosophische Texte des 17. und 18. Jahrhunderts (mit Descartes' Meditationes beginnend) in zeitgenössischer universitärer Lehre ist evident.
           
            Derlei fehlt für die Renaissance. Und Neukantianismus" mag sinnvoll sein, "Neuficinismus" wäre unsinnig; Descartes' Meditationes sind lesbar (und zum nicht geringen Teil verständlich) ohne Spezialwissen über Descartes' Kontexte, Zeitgenossen, vom Autor gelesene Literatur, Publikums­erwartungen, etc., aber selbst ein so "einführender" Text wie Gregor Reischs Margerita philosophica stellt Personen ohne entsprechendes Training vor kaum überwindbare Hindernisse; Leibniz wird noch heute (und vermutlich weltweit) diskutiert, ein Bestsellerautor wie Titelmannus ist selbst von manchen meiner hiesigen Kollegen ungelesen. Es gibt keine Kontinuitäten, die leitend oder auch nur hilfreich für Auswahl und Darstellung sein könnten zwischen heutiger Philosophie und den Philosophien, um die es in diesem Band geht.
           
            Diese Diskontinuität ist ihrerseits nicht ohne Grund: weit mehr als die philosophischen Texte anderer Zeiten reagieren diejenigen der Renaissance auf andere Texte, setzen gewisse Text- und Theoriekenntnisse voraus, erhalten einen guten Teil ihrer Verständlichkeit und Bedeutung aus ihren Entstehungskontexten und ihren Erwartungen an die sie lesenden Zeitgenossen. Diese starke Kontextbezogenheit macht einerseits mit den Reiz dieser Texte aus, erschwert aber andererseits beträchtlich den Zugang: die wenigsten von ihnen sind "naiv" lesbar;[3] und damit sind sie auch kaum für ein Buch wie dieses hier aufbereitbar und präsentierbar ohne dass jeweils auf derartige Kontexte eingegangen wird. Mehr noch als in den anderen Bänden der Grundkurs-Reihe gilt es hier oft "nahe am Text" zu arbeiten, ist ein Sichstützen auf Originalzitate und deren Analyse unverzichtbar.[4]


[1]           Band 6: Antike; Band 7: Mittelalter; Band 8/2: Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts; Band 8: Philosophie des 19. Jahrhunderts; Band 10: Philosophie des 20. Jahrhunderts.
[2]           Über Alternativen für Beginn (und, im Blick auf das letzte Kapitel dieses Bandes [Paris 1625 / München 2013], auch Ende) dessen, was in diesem Band behandelt wird, und etwaige Gründe, diesen vielleicht besser mit "Frühmoderne" (o. dgl.) als mit "Renaissance" zu überschreiben, zu berichten, und das Berichtete zu diskutieren, und die getroffene Grenzziehung und Benennung zu rechtfertigen, würde Zeit kosten, die m. E. besser der Auseinandersetzung mit den Texten, Personen, Themen, Kontexten, Phänomenen, über die dieser Band handelt, gewidmet wird. Der Nutzen jeglicher Einteilung der Geistesgeschichte in Epochen scheint mir nicht über rein Pragmatisches (wie z. B. die Aufteilung der philosophiehistorischen Texte der Reihe, in der dieser Band hier erscheint) hinauszugehen, und für die Benennung dieser Epochen scheint mir allein der weitverbreitete Sprachgebrauch sinnvolle Entscheidungsgrundlage. Die Auswahl der epochenbegrenzenden Jahreszahlen ist vielfältig: Für "Renaissance" schwanken sie zwischen (mindestens) 1220 und 1483 für den Beginn und 1525 und 1700 für das Ende, und für "Frühmoderne", "Frühe Neuzeit" u. dgl. zwischen (mindestens) 1100 und 1500 für den Beginn und 1667 und 1850 für das Ende. - Für eine Auswahl siehe den Thread Periodisations, borders unter http://www.phil-hum-ren.uni-muenchen.de/W4RF/YaBB.pl?num=1212479446 
[3]           ""naiv" lesbar" im Sinne einer nicht einschlägig gelehrten Lektüre im Gegensatz zu einer "einschlägig gelehrten Lektüre": naive Lektüre als Lektüre ohne Vorkenntnisse zu Genre, Kontexten, Überlieferung, etc..
[4]           Diese Notwendigkeit zur "Arbeit am Zitat" widerum macht den Band auch typographisch zum Außenseiter in der Reihe.





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            Zusammenfassend: ist es zumindest mir (teils weil es mir nicht sinnvoll erscheint, teils weil es nicht durchführbar ist) unmöglich, durch eine der folgenden (und oben diskutierten) Weisen zu einer Festlegung der Inhalte des projektierten Bandes zu kommen:
·          Kontinuitäten zu heutiger Philosophie können zur Auswahl nicht helfen, da derlei Kontinuitäten nicht existieren.[1]
·          Dem Laien leicht zugängliche philosophische Texte aus der Renaissance sind aus Sicht derjenigen, die sich professionell mit ihnen beschäftigen, genauso schwer adäquat zu behandeln wie dem Laien unlesbare Texte.
·             Dem zu folgen, was andere ausgewählt haben, wäre nur dann sinnvoll, wenn auch den Prämissen der Vorgänger gefolgt würde; diese sind jedoch zum einen nicht miteinander kompatibel, zum zweiten nicht meine, und zum dritten sollte m. E. eine Darstellung wie diese so prämissenarm wie möglich auswählen.
·             Auch eine Einteilung nach philosophischen Schulen wäre von philo­sophischen Prämissen die nicht die der bearbeiteten Zeit sind geleitet.
·             Auf Auswahl zu verzichten, ist nicht möglich, da die Zahl der Texte und Autoren zu groß ist.
·             Für eine Auswahl nach zeitgenössischer "Wirkmächtigkeit" fehlen bislang (und wohl auch auf mittlere Zukunft) die Werkzeuge.
·             Die Texte sind zu viele, als dass eine objektive inhaltliche Auswahl der "interessantesten" (gleich aus welcher Perspektive) möglich wäre.

            Daher habe ich mich entschieden, für dieses Projekt den Weg enzyklopädischen Vorgehens zu verlassen, und stattdessen beispielhaft und diskutierend die Philosophie der Renaissance in der Verfolgung von Kontexten so vorzustellen, dass die Breite, die Vielfalt, der Reichtum und die Bedingtheiten des Philosophierens in der Renaissance deutlich werden, und dem Leser Anreiz zu weiterer Lektüre und Untersuchung gegeben wird. Dabei wird jeweils ein Ort und ein Jahr zum Ausgangspunkt gewählt.
            Für die Auswahl der Orte und Jahre wurden als Kriterien gewählt: Diversität, Verfügbarkeit von Texten im Druck und in modernen Volkssprachen in einem (hoffentlich) hinreichend großen Teil der Fälle,[2] Weite des Gesamtbildes. Die einzige Entschuldigung der Willkür der Entscheidung ist ihre Unvermeidlichkeit.

            Die Arbeit am vorliegenden Band hat sich über mehrere Jahre hingezogen, meine Auseinandersetzung mit einigen der behandelten Texte und Autoren erstreckt sich über Jahrzehnte, meine Notizen sind unvollkommen und unvollkommen geordnet, desgleichen mein Gedächtnis: ich habe die zu Grunde liegende Literatur nach bestem Wissen und Gewissen angegeben, aber: Sollte es Stellen geben, wo meine Interpretationen formende Literatur nicht angeführt wurde, so bitte ich um Mitteilung für späteren Nachtrag.

            Man nehme den Band als Experiment. Wenn er zum Weiterlesen, zur eigenen Auseinandersetzung mit den behandelten Texten, Autorinnen und Autoren, Phänomenen, Kontexten anregt, so ist das Experiment geglückt.



[1]           Copenhavers Präsentation von Affinitäten zwischen Philosophen des 20. Jhd.s und solchen der Renaissance (cf. Brian P. Copenhaver & Charles B. Schmitt: Renaissance Philosophy (Oxford [Oxford University Press] 1992), pp. 329-357) kommt zum gleichen Ergebnis (p. 339) der Inexistenz solcher Kontinuitäten.
[2]           Dieses Kriterium hat zur Folge, dass Texte universitärer Philosophie (die fast alle lateinisch sind) nicht in dem Maße Berücksichtigung gefunden haben, das der Zahl der Texte und Autoren angemessen wären. Dies ist Kontext und Zweck der vorliegenden Einführung - die sonst wohl zu mehr als 80% eine "Einführung in universitäres Philosophieren der Renaissance unter Erwähnung bekannterer Autoren und Texte in weniger als zehn Fällen" geworden wäre - geschuldet. Auch die Auswahl der angegebenen Sekundärliteratur und der verwendeten Ausgaben orientiert sich an diesem Kontext und Zweck: angeführt wurde (neben zentral verwendeter Literatur) das von dem zu hoffen stand, dass es den Leserinnen und Lesern hinreichend leicht zugänglich sei. Aus demselben Grunde haben nur handschriftlich vorliegende Texte bei weitem nicht in dem Umfang Berücksichtigung gefunden der ihrer Bedeutung im hier behandelten Zeitraum entspricht (wobei auch hier wieder primär universitäres - vor allem Vorlesungsmanuskripte/mitschriften - betroffen ist).
 

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